nachdem ich heute erneut gelesen hatte, dass es für eine offene beziehung reichen würde, dass man gut kommunizieren kann muss ich jetzt doch endlich mal was zum thema offene beziehung bez. nicht-monogame beziehung schreiben. es nervt mich schon seit langem wie vereinfacht das leben einer nicht-monogamen beziehung dargestellt wird oder wie sehr die monogame beziehung in den verruf gerät ausschliesslich aus nicht kommunizierenden personen zu bestehen. (ich fasse übrigens mal alle nicht-monogame beziehungsmodelle unter diesem namen zusammen, auch wenn es da eine reihe von unterschieden gibt – mir geht es aber nur darum zu unterscheiden zwischen monogam und nicht-monogam, sprich es gibt entweder 1:1 oder 1:2 oder mehrere beziehungspartner.)
ich arbeite seit jahren mit paaren und habe dabei viele hundert paare in ihrem leben und trennen als paar begleitet und dabei eine vielzahl von versuchen erlebt beziehung neu zu gestalten bez. umzugestalten. unter anderem auch über neue beziehungsmodelle. und ich habe dabei festgestellt, dass kommunikation nur eine komponente ist – wichtig zwar – aber ob nicht-monogame beziehungen (und übrigens auch monogame) scheitern oder nicht hängt meiner erfahrung nach maßgeblich mit dem eigenen bindungsstil und im weiteren mit dem matchen des eigenen bindungsstil mit dem der primären partnerperson zusammen. und das ist ein punkt der ständig vernachlässigt wird.
es gibt 3 bindungsstile, sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent. grob, wirklich ganz grob kann man sagen, dass sicher gebundene menschen, ausreichend aufmerksamkeit und zuwendung bezügl. ihrer bedürfnisse als baby und kleinkinder erhalten haben und als einigermaßen ihrerselbst sichere menschen durchs leben gehen. unsicher-vermeidende waren zwar vordergründig pflegeleichte kinder, die wenig gefühle gezeigt haben aber nur, weil sie ihre starken emotionalen gefühle weitestgehend unterdrückt haben, weil sie wussten, dass nicht angemessen darauf reagiert wird und sies lieber gelassen haben weiter darauf zu bestehen zb. durch schreien. diese menschen sind als erwachsene eher distanzierte menschen, die wenig emotion zeigen bez. sich gut im griff haben diesbezüglich. der unsicher-amivalente hat hin und wieder eine angemessene antwort auf seine bedürftigkeit als baby und kleinkind erhalten, aber manchmal eben auch nicht, was zur folge hat, dass er gerne kontrolliert und von verlustangst geprägt ist. niemand hat nur einen bindungsstil, aber einen mehrheitlich prägenden. grob sagt man ca. 50% sicher gebunden, ca. 30% unsicher-vermeidend, ca. 20% unsicher-ambivalent. es gibt noch eine geringe % zahl desorganisiert gebundener menschen, aber das kommt in dieser ausprägung selten vor und ist bereits psychopatahologisch.
nicht nur, dass wir alleine schon die auswirkungen des jeweiligen bindungsstil spüren, in kombi mit anderen bindungsstilen (zb. in partnerschaften) wirds besonders spassig, weil nicht jeder bindungsstil zum anderen passt bez. abhängigkeiten entstehen oder auch sehnsüchte nach sicherheit nie erfüllt werden. wir schleppen also alle ein gewisses inneres beziehungsmodell (zb. ich kann mir selbst gut sicher heit geben oder bevor ich enttäuscht werde, mach ich lieber alles mit mir aus oder wenn ich meine bedürfnisse kommuniziere, werde ich nicht mehr geliebt) mit uns rum, dass uns maßgeblich geprägt hat und dessen man sich nicht unbedingt bewusst ist. also führen wir beziehungen, die im beziehungskontext die abbildung desjenigen bindungsstil und beziehungsstils ist, welchen wir hauptsächlich in unserer frühen kindheit erfahren haben.
was ich sagen will: ob eine nicht-monogame beziehung oder auch monogame beziehung klappt oder nicht hängt weit aus mehr mit dem jeweilig erfahrenen bindungsstil und dem matchen zu dem bindungsstil der primärbeziehungsperson zusammen als mit gelingender kommunikation. matchen die stile, kommt die kommunikation von alleine. nur – die stile matchen leider in den meisten fällen nicht. habe ich einen unsicher-vermeidenden bindungstil erfahren und komme mit einer person zusammen, die entweder ebenfalls unsicher-vermeidend oder unsicher-ambivalent ist, und in eine offene beziehung starten will passiert folgendes: ich kann wahrscheinlcih wunderbar in eine sekundäre beziehung starten weil mir eifersucht eher fremd ist (ich hab ja gut gelernt schwierige emotionen nicht zu fühlen) wohingegen die unsicher- ambivalente person ziemlich sicher am arsch ist, weil sie von verlustangst gebeutelt ist.
spätestens hier wird klar, wie komplex der boden ist auf dem man geht wenn man in beziehung egal mit wieviel personen tritt. und wie prägend und unbewusst beziehungswahl und beziehungsleben ist. deshalb hier mal mein eigener bindungsstil und mein daraus resultierender beziehungsstil:
ich bin unsicher-ambivalent, eine verlustängstliche. auch ein bisschen amibvalent sprich ich gehe gerne in distanz wenn es mir zu emotional wird, aber unsicher-ambivalent ist mein vorherrschendes bindungsverhalten. darüberhinaus habe ich sicher eine bindungstraumatisierung (nochmal ein thema für sich, bitte googeln) erlitten, aber das lasse ich mal aussenvor – grob gesagt: es verschlimmert einfach alles :) ich brauche in beziehung unglaublich viel sicherheit und beständigkeit. ich würde mich nicht als stark eifersüchtig bezeichnen (ambivalent-vermeidender anteil), aber wenn mir mein beziehungshafen verloren geht oder er bedroht ist, ist das für mich ein starker trigger. ich habe mich sehr mit diesem bindungstil auseinander gesetzt, weil er ständig meine beziehungen bedrohte, mich bedrohte und gelingende beziehungen (auch freundschaften) verhinderte. ich würde sagen, dass ich das heute sehr gut im griff habe, mir die thematik bewusst ist, ich neue verhaltensalternativen gelernt habe und eine glückliche beziehung führen kann. was geblieben ist, ist die notwenidgkeit von sicherheit. sie ist immanent, ich kann mit ihr umgehen, kann sie aber nicht auflösen oder beseitigen. das hat in meinem fall nichts mit unvermögen oder mangelnder kommunikation zu tun als viel mehr damit, dass es eine frühkindliche erfahrung ist. eine spur, die so tief gegraben ist, dass ich sie nicht überbetonieren kann. ich kann vielleicht andere wege nebendran benutzen, aber die spur selbst bleibt und ist zu tief in ihrer prägung. für mich käme eine nicht monogame-beziehung daher aus mehreren gründen nicht in frage:
ich brauche die sicherheit einer person, die mit mir in einer beziehung lebt. und zwar ausschliesslich. ein weiteres hinzukommen einer anderen person würde für mich einen so starken trigger bedeuten, der entweder mich oder alle beteiligten wahnsinnig macht oder aber mich in einen so deutlichen rückzug bringen würde, dass so oder so ich nicht mehr beziehungsfähig wäre. ich würde niemandem mehr gerecht werden – mir nicht, meiner primär beziehungsperson nicht, der sekundären auch nicht. für mich persönlich erschliesst sich kein sinn und nutzen in der einer erweiterung meiner beziehung, es würde leid bringen für alle beteiligten. mein glück liegt in der konzentration auf eine beziehungsperson – und schon das ist herausfordernd genug für mich. mit dieser habe ich eine offene, sehr reflektierte kommunikation. innerhalb dieser zweierbeziehung kann ich sowohl mir als auch dem anderen maximale individuelle freiheit zugestehen, ohne mich bedroht zu fühlen in meiner sicherheit. es ärgert mich oft maßlos, wenn monogame beziehungen als hermetisch abgeriegelte, unreflektierte und aufeinanderbezogene beziehungen dargestellt werden. ich kann in meiner beziehung sehr gut für mich alleine sein, ich kann freiheiten zetilicher und örtlicher art beanspruchen und gestehe diese meinem gegenüber zu. meine entscheidung für monogamie ist eine bewusste und reflektiert.
nun ist die monogamie die gesellschaftlich immer noch stark vorherrschende beziehungsform und es wird immer noch automatisiert angenommen wird, dass das eben die „normale“ form einer beziehung ist, so wie eben auch immer schon angenommen worden ist, dass es zwei geschlechter gibt. es ist sehr gut, dass diese strukturen aufbrechen, dass menschen mit ihren individuellen identitäten in ihren gewählten beziehungsformen leben können. was ich schwierig empfinde ist der weg dorthin. ich erlebe oft paare, die aus einer monogamen beziehung heraus in ein nicht-monogames modell wechseln wollen und dieser wechsel in sehr vielen fällen zur trennung führt. abgesehen von sicherlich vielen individuellen gründen weshalb beziehung sich ändert und auch ändern muss ud am ende scheitert, liegt ein grund aber auch immer wieder darin, dass vielen der eigene bindungsstil nicht bewusst ist und die themen, die damit verbunden sind. das sich verändernde gesellschaftliche bild von monogamie und nicht-monogamen beziehungsstilen suggeriert vielen, dass das alles nur eine frage der kommunikation und des guten willens sei, ein loslassen von negativen gefühlen wie eifersucht und neid. dass gerade die eifersucht ihren ursprung im erfahren frühkindlicher prägung hat, ist den meisten nicht bewusst. niemand kann erst mal was dafür eifersüchtig zu sein und niemand kann eifersucht einfach loslassen. wie oft habe ich es schon gelesen oder gehört, dass in seminaren oder büchern zu diesem thema den teilnehmer*innen vermittelt wird, dass man von negativen gefühlen lassen soll, dass man seiner*m Partner*in gönnen soll – was schlicht nicht geht, ohne wissen warum ich überhaupt so fühle. dieses wissen zu bekommen und handlungsalternativen zu erarbeiten um dann vielleicht tatsächlich von eifersucht „loslassen“ zu können dauert unter umständen jahre. und nicht ein seminar. viele menschen erleben sich als unfähig und hilflos wenn sie merken, dass es ihnen einfach nicht gelingen will dem anderen zu gönnen und fragen sich, was mit ihnen falsch ist und die andere beziehungsperson es so gut kann. vielleicht liegt es nur daran, dass die person der es gelingt unsicher-vermeidend oder sicher geprägt ist und die person, der es nicht gelingt unsicher-ambivalent. und genauso erlebe ich immer mehr monogam lebende menschen, die sich fragen ob mit ihnen was nicht stimmt, weil „man ja jetzt altmodisch ist, wenn man noch so lebt wie wir!“ sie fragen sich ob sie was übersehen, ob sie nicht in der lage sind zu kommunizieren, ob sie sexuell tot sind oder langweilig. nichts dergleichen stimmt – der eigene bindungsstil beeinflusst ihr beziehungs(er)leben, er ist da, er geht so schnell nicht weg, er machte sogar mal richtig sinn und hat einen geschützt als kleinkind und es könnte sogar sein, dass der eigene bindungsstil schlicht inkompatibel mit dem des beziehungspartners ist und bleibt. ich rate ja in solchen fällen zur sofortigen trennung.
scherz.
ich würde gerne mut machen und vielleicht ein gefühl dafür geben, warum man tickt wie man tickt und warum manches möglich ist und manches nicht und dass beides nicht schlimm ist. es ist wunderbar ok monogam leben zu wollen und es ist ebenso wunderbar ok nicht-monogam leben zu wollen. nur – es sollte einem bewusst sein, warum man was tut. und es sollte einem bewusst sein, dass es keine frage von kommunikation oder gutem willen ist, ob es funktioniert oder nicht. und es sollte bewusst sein, dass das was für einen selbst möglich ist, nicht automatisch auch für das gegenüber möglich ist und dass dann nicht die frage sein sollte „wollen wir eine offene beziehung?“ sondern „passen wir eigentlich zusammen oder sollten wir uns nicht besser trennen?“