are you tough enough to be kind?

ich habe in den letzten wochen auschwitz-birkenau besucht, ich habe viktor frankl und hannah arendt gelesen, habe ausstellungen über das dritte reich besucht, habe erneut sabine bodes bücher über die kriegskinder und -enkel gelesen und weiss nach all diesen informationen immer noch nicht mehr als: niemals wieder.

aber die frage wie verhindern ist immer noch da.

ich habe bereits nach auschwitz gespürt, dass ich mich wie in den startlöchern fühle. ich kann dieses gefühl nicht besser beschreiben – ich bin randvoll mit dem was ich gesehen habe, randvoll mit einer immensen inneren wut, randvoll mit einem grossen willen, alle erkenntnis dieses sommers in mein leben zu integrieren. das alles ist in mir. und ich finde dafür keinen weg raus. überall werde ich aufgefordert jetzt die stimme heben! jetzt aufstehen! jetzt wehren! und ich steh da, prall gefüllt, und denke mir „ja wie denn!?“ ein demohinweis nach dem anderen posten? ein tweet nachdem anderen retweeten? auf jedem social media kanal mein profilbild auf das hakenkreuz-versenkende männchen umstellen?

was heisst denn dieses „aufstehen!“, was genau bedeutet das für jemanden wie mich, die im unmittelbaren umfeld keine hetzenden nazis hat, die in keiner stadt lebt die vom nazimob heimgesucht wird? in deren umgebung keine #seebrücke-demos stattfinden? und die aber dennoch so randvoll ist mit wut und willen und dem grossen wunsch nicht länger abwarten zu wollen und endlich etwas zu tun.

ich glaube diese frage stellen sich viele aber viele nicht laut, weil die sorge besteht man könnte in ein falsches licht geraten. ich hingegen will diese frage laut stellen, weil ich es für weitaus gefährlicher halte sie nicht zu stellen. führt das nicht-stellen doch in eine weitere erstarrung, ein ohnmächtiges und später verdrängendes nichts-tun oder – noch schlimmer – in pseudoaktionismus, der bequem macht weil er die eigentliche handlungsunfähigkeit kaschiert und suggeriert man täte ja was.

also: was genau ist das denn jetzt, dieses „aufstehen!“

ich glaube das wichtigste ist zu begreifen, dass es die reaktion auf den zunehmenden rassismus in unserer gesellschaft nicht gibt. das liegt zum einen daran, dass wir menschen unterschiedlich sind, wir nicht alle denselben mut und diesselbe hingabe und kampfesbereitschaft haben und zum anderen, dass auch die wahrnehmungen von rassismus unterschiedlich sind, seis aus ignoranz oder unwissenheit. und darüberhinaus zeigt sich alltagsrassismus zb. auf dem oberbayerischen lande weitaus seltener als in stark bevölkerten städten wie berlin. das ist erstmal frustrierend so zu lesen und glaubt mir, auch frustrierend so zu schreiben. aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es der mehrheit im moment so geht.

was ich aber besonders in auschwitz gelernt habe ist, dass das thema diskriminierung, exklusion, rassismus und fremdenfeindlichkeit in all seinen facetten im allerkleinsten beginnt. oder andersrum: der allererste schritt, der noch keine konkrete handlung erfordert, ist die überprüfung meiner einstellung. wer will ich als mensch sein? wie will ich als mensch behandelt werden? und wie will ich als mensch, menschen begegnen? alles was ich dazu brauche, habe ich in mir, ich muss nirgendwohin und demonstrieren, ich muss nichts spenden, ich muss niemanden beschützen, ich muss mich einfach nur fragen: welcher mensch will ich sein? das ist der kleinste, erste schritt. und der muss sein, er schafft den rahmen für jede weitere handlung die irgendwann mal von mir gefordert wird. ich kann mich nicht erst in einer konkreten situation damit auseinandersetzen wie ich sein will. die hürde zur aktion wäre viel zu hoch.

ich kann bereits im allerkleinsten rahmen eine menschenfreundliche stimmung in mir tragen und verbreiten. ich kann jemandem die tür aufhalten, ich kann jemanden anlächeln, ich kann spitze kommentare schlucken und kann grosszügig sein. ich kann mein misstrauen ablegen und meine offenheit zeigen. ich kann nach einem U2 konzert, in dem es um viel liebe und toleranz ging, diese auch hinterher als haltung zeigen, auch wenn mir der hintermann am merchandisestand gerade in die hacken getreten ist. es sind die kleinen dinge, was soll ich sagen. es soll nicht darum gehen, stumm und mördertolerant jetzt jeden quatsch zu dulden, der einem so widerfährt. es ist der umgang mit selbigem. ich kann mich umdrehen und dem hackentreter wütend ins gesicht fauchen oder aber umdrehen, grinsen und sagen „möchtest du mir grad den schuh ausziehen?“ es geht darum, zu begreifen wie sehr man selbst in der lage ist, eine menschenfreundliche und offene stimmung zu schaffen, in der verzeihend, gnädig und einfach auch mal aushaltend reagiert wird. wie gesagt – ich rede hier von winzigen alltagssituationen, die in ihrer gesamtheit sehr „stimmungsbildend“ sind was zwischenmenschliches angeht. das ist mir wichtig zu betonen, denn ich ahne, dass gerade im moment der wunsch nach grossen gesten da ist. nach starker abgrenzung, nach lautstärke und starken zeichen – das ist verständlich, es ist toll, dass das alles da ist, mir geht es selbst so und dennoch –

wir denken in zu grossen kategorien, und das überfordert uns. dauerhafte überforderung aber führt zwangsläufig in ein inneres abschalten und resignieren, aber nie in handlung.

ich halte es für wichtig, sich selbst den rahmen zu definieren in dem man sich als demokratischer menschen bewegen kann und will. kann, weil nicht jeder für lautstärke und mutausbrüche gemacht ist, was ok ist und sein darf. will, weil nicht jeder in seinem alltag zeit hat auf jede demonstration im moment zu gehen die ansteht oder auch sonst keinem kanal hat, um in widerstand zu gehen.

was wir aber ausnahmslos alle tun können, ist in den spiegel zu blicken und uns selbst zu fragen: welcher mensch will ich sein? was bin ich bereit an haltung zu leben oder gegebenfalls zu verändern? was lebe ich selbst als toleranz und menschenfreundlichkeit und was kann ich davon nach aussen tragen? wir alle können unseren mut trainieren, den mut haltung zu zeigen, sie offen nach aussen zu kommunizieren. trainieren wir ihn im kleinen, beginnen wir gleich heute damit, dann wird die hürde in wirklich herausfordernden situationen kleiner und nehmbarer. der blick in den spiegel nimmt uns das gefühl der überforderung, er bringt uns zurück ins tun, er lässt uns selbstwirksamkeit spüren und veränderungswillen leben. das ist unendlich wertvoll, unendlich wichtig und richtig, es macht uns bereits an dieser stelle zu demokratischen, mündigen und handelnden menschen.

es müssen nicht immer die grossen gesten sein, ganz im gegenteil. das was grosse gesten überhaupt erst möglich macht, ist der beginn im kleinen.

are you tough enough to be kind?

(hier denken zwei kluge menschen weiter: petrolgrau und jawl – danke dafür!)

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Ein Gedanke zu “are you tough enough to be kind?

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